Während der dritte Engel Neo-Tökyö in Schutt und Asche legt, erfährt Shinji im unterirdischen NERV-Hauptquartier, dass er den Gegenangriff führen soll - und das in einem turmhohen Mecha namens EVA01. Der Schüler lehnt den mili­tärischen Auftrag ab. Er ist aber nicht der einzige, der in diesem Moment unzufrieden ist. „Zu viel Stakkato und du gleitest ein bisschen ins Weinerliche - lass es sanft schließen", klingt die Stimme von Frank Schröder aus dem Off - der Regisseur hält bei der „EvangeliorT-Synchroni-sation die Fäden in der Hand.
Durch eine Glasscheibe beobachtet der Syn-chron-Regisseur Shinji, Misato und Ritsuko bei der Arbeit - beziehungsweise ihre deutschen Stimmen Hannes Maurer, Julia Kaufmann und Peggy Sander (siehe Sprecher-Übersicht). Die drei stehen in einem schallisolierten Aufnahme­studio, vor ihnen ein Monitor, Skripte und ein Mikro. Auf dem Fernseher ist ein kurzer Aus­schnitt von Evangelien im Original zu sehen und zu hören, dann wird es ernst: Die Zahlen drei, zwei, eins huschen über den Bildschirm und die selbe Szene läuft ein zweites Mal. Diesmal
allerdings schweigen die japanischen Seiyüs und die deutschen Sprecher sind am Zuge. Nach einem kurzen Moment kommt prompt die Be­urteilung - von Regisseur, Tonmeister und Cutterin: Alle drei überwachen die Aufnahme auf­merksam und sparen notfalls nicht mit Kritik und neuen Anweisungen.
Bevor es allerdings zu diesem eigentlichen Höhe­punkt, den Aufnahmen im Studio, kommt, muss eine Menge an Vorarbeiten geleistet werden: An erster Stelle steht die Übersetzung und das Dialogbuch, das im Falle von Neon Genesis Evangelien in den Händen von Stefan Werner (u.a. Füll Metal Panid, Bill Cosby Show) lag. Zusammen mit Regisseur Frank Schröder (u.a. Dialogbuch 21 Gramm, Synchron­sprecher von Chris O'Donnell in Der Duft der Frauen) bilden beide die „Hauptsäulen des Animes bei der Deutschen Synchron Filmgesell­schaft", betont Herstellungsleiter Matthias Müntefering. Während die Rohübersetzung eine mehr oder weniger Eins-zu-eins-Übertragung der Dialoge aus dem Original ist, handelt es sich bei dem Dialogbuch um ein in sich geschlossenes Script. Stefan Werner erklärt: „Es ist auch stilistisch angepasst. Eine wörtliche Übersetzung wirkt immer hölzern und steril. Insofern muss ich den Figuren einen eigenen Sprechstil geben. Dazu weicht man hier und da von den Formulie­rungen des Originals ab. Ich gebe zwar den Inhalt wieder, verwende aber möglicherweise andere Sprachbilder, weil es sich im Deutschen besser anhört oder im Kontext schlüssiger ist."
Während der Dialogbuchautor an den Sätzen von Shinji und Co. feilt, nimmt sich die Cutterin Iris Rieke derweil den Anime am digitalen Schnitt­platz vor. Hier zerlegt sie die Abenteuer um die EVAs und die Engel in Takes, das sind Einzel­sequenzen von fünf bis zu 15 Sekunden, die meist nur ein bis zwei Sätze umfassen. Die Länge der Sätze bilden auch für den Dialogbuchautor einen wichtigen Rahmen: Denn die fertigen Dialoge muss er den Charakteren im wahrsten Sinne des Wortes in den Mund legen.
Die Verwendung von Takes erlaubt es auch, die Sprecher effektiver zu buchen. Bei Charakteren, die nicht in jeder Folge, sondern nur am Rande auftauchen, werden die Takes daher zusammen-gefasst. So brauchen deren Sprecher nicht jede Episode für einen einzelnen Satz zu erscheinen, sondern können ihre Auftritte auf wenige Studiobesuche beschränken. Schließlich ist die £i/aA?0e//0/7-Synchro nicht der einzige Auftrag eines Sprechers. So sieht beispielsweise ein typischer Arbeitstag von Peggy Sander aus: Den Vormittag beginnt sie mit zwei Stunden in der Rolle der NERV-Angestellten Ritsuko, dann folgen am Nachmittag zwei Stunden als Armeeanwältin Sarah MacKenzie in JAG - Im Auftrag der Ehre und schließlich klingt der Synchron-Tag mit zwei Stunden bei einem Dokumentarfilm wieder aus.
Julia Kaufmann und Peggy Sander (v.L.) gemeinsam bei der Aufnahme
Die Arbeit im Studio läuft folgendermaßen, erklärt Frank Schröder: „Wir hören zuerst das japa­nische Original. Danach können sich die Sprecher teilweise schon darauf einstellen, was in der Szene passiert oder wie die Stimmung ist." Meist kennen die Sprecher, wenn sie mit der Auf­nahme beginnen, weder die Szenen noch die Episoden - geschweige denn die ganze Serie. Das ist Aufgabe des Regisseurs, der die Serie wie aus dem Effeff beherrschen muss: „Ich muss den Sprechern vermitteln, was ihre Rolle darstellt, damit sie das vom Spielerischen her umsetzen können." Während der Regisseur inhaltliche Aspekte wie Charakter und Aussprache der Namen im Auge hat, achtet die Cutterin darauf, ob die Dialoge auch zu den Mundbewegungen passen. Der Dritte im Bunde ist Tonmeister Wolfgang Vedder, der am Mischpult die Auf­nahme steuert. Er ist unter anderem für die Raum­inhalte zuständig, das heißt, er verteilt beispiels­weise Stimmen auf mehrere Mikros, damit auch akustisch ein räumliches Bild entsteht.
Es folgt Satz auf Satz und Take auf Take, die Atmosphäre im Studio ist hochkonzentriert. Doch zwischen den Angriffen der Engel, der endlos erscheinenden Kritik aus der Regie und den vielen Wiederholungen finden die Sprecher immer wieder Zeit zum Witzeln. Das Sprüche­klopfen und die ironischen Seitenhiebe gehören zum Synchro-Alltag und tragen zu der gelösten Stimmung im Team bei. Doch selbst nach einem arbeitsreichen Tag in der Aufnahme ist noch lange nicht Schluss: Nun wandern die digitalen Bänder in den Schnitt, wo Cutterin Iris Rieke Bild und Ton zusammensetzt, bevor Tonmeister Wolfgang Vedder die aufgenommenen Stimmen mit Musik, Atmosphären- und Hintergrund­geräuschen anreichert und so für den guten Ton der Serie sorgt.
Quelle: AnimaniA
In der folgenden Übersicht werden die fünf Hauptsprecher von Neon Genesis Evangelion kurz vorgestellt.
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